
Das ist Anlaß für uns, am 13. Februar 2011 um 10.30 Uhr in der Christuskirche zu feiern.
Auf der folgenden Seite haben wir schon mal vorab ein Gespräch von Lutz Rosenkranz mit Pfarrer Dr. Klaus Neumeier "mitgeschnitten".
LR: 20 Jahre sind eine lange Zeit. Erinnerst du dich an deine ersten Eindrücke in der Gemeinde?
KN: Ich weiß noch gut, wie ich zum ersten Mal in die Christuskirche hinein gekommen bin. Damals stand noch alles voller Stühle, die in Reih und Glied sehr ordentlich nach vorne orientiert waren. Ich dachte sofort: Das ist ein interessanter Raum, da kann man diverse Ecken einrichten und die Größe des Raumes für verschiedene Zwecke nutzen. Und: Das ist ein Raum für Begegnung!
LR: Die Gemeinde war 1991 ja in einer sehr schwierigen Situation. Wie war das, da als junger Pfarrer hinein zu kommen?
KN: Ja das stimmt wirklich. Es tobte regelrecht ein Streit um und mit einem Pfarrer und er wurde sehr öffentlich ausgetragen. Tatsächlich bin ich auch gleich in diese Probleme hinein gezogen worden. Für mich war das ein Auslöser, sehr schnell und sehr offen mit Menschen zu sprechen, zu denen ich ein Gefühl von Vertrauen hatte.
LR: Wie hast du die Gemeinde damals erlebt?
KN: Die Gemeinde war damals sehr stark in ihre Pfarrbezirke aufgeteilt. In ihnen arbeiteten die Pfarrer mehr nebeneinander als miteinander. In vielen Bereichen war die Gemeinde auch ausschließlich traditionell ausgerichtet. Für einen jungen Mann, der aus der engagierten ehrenamtlichen Jugendarbeit des Evangelischen Jugendwerkes kam, war das wirklich eine Herausforderung! Aber zugleich habe ich von Anfang an sehr viel Offenheit gespürt für neue Wege und sehr viel Bereitschaft, gemeinsam Neues auszuprobieren.
LR: Was waren deine ersten eigenen Akzente, die du gesetzt hast?
KN: Die Gemeinde hatte damals keine eigene regelmäßige Öffentlichkeitsarbeit, die sich an alle Gemeindemitglieder gerichtet hat. Für die Kommunikation des Evangeliums und auch der Gemeindearbeit ist das aber unbedingt notwendig. Wir haben dann die ZACK („Zeitung aus der Christuskirche“) entwickelt, die seit dem Sommer 1991 regelmäßig erscheint. Ein Prinzip aus meiner bisherigen Jugendarbeit habe ich da gleich angewandt: Im Team arbeiten. Unsere Gemeindepädagogin Martina Radgen und Britta Betz als ehrenamtliche Mitarbeiterin sind seit damals und bis heute mit in der ZACK-Redaktion.
![]() Ordination (Beauftragung) durch die damalige Pröpstin Helga Trösken |
![]() Als „Prediger mit Ruth Homann (Leiterin der Kita Arche Noah), Sylvia Becker-Pröbstel (Kinderbürgermeisterin und Mitarbeiterin in der Christuskirchengemeinde)“ bei Kirche anders im November 2010 |
LR: Die Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit ist ja aber „nur“ eine vermittelnde. Was waren deine Tätigkeitsfelder in der inhaltlichen Arbeit?
KN: Da waren natürlich wie bei jedem Pfarrer die Leitung von Gottesdiensten, Taufen, Trauungen, Beerdigungen, die Seelsorge, der Schulunterricht. Besonders eingebracht habe ich von Anfang an in die Konfirmandenarbeit und die Jugendarbeit. Schon nach wenigen Wochen sind wir mit den damaligen Konfirmanden auf eine Freizeit gefahren – getreu dem bis heute vertretenen Prinzip: Mit Abstand vom Alltag sind Gemeinschafts- und Glaubenserfahrungen viel besser zu machen. Wenn heute über 1000 Teilnehmende pro Jahr auf den unterschiedlichsten Freizeiten unserer Gemeinde unterwegs sind, dann hat das mit dieser Konfifreizeit im Frühjahr 1991 begonnen. Zusammen mit diesen Jugendlichen haben wir dann den Jugendkreis „Taufbeckenschwimmer“ gegründet, der sich mehrere Jahre getroffen hat.
LR: Das hört sich nach einer sehr zielgerichteten Gemeindearbeit an?
KN: Nein, ein wirkliches Konzept stand da noch nicht dahinter. Es waren die für mich wichtig gewordenen Erfahrungen in meiner eigenen Biographie und meiner vorherigen ehrenamtlichen Tätigkeit: lebendige Beziehungen als Grundlage für eine lebendige Gemeinschaft, Eröffnung von spirituellen Erfahrungsräumen für ein gelebtes Gottvertrauen und aktives Christsein. Auch mit den Erwachsenen sind wir im Sommer 1991 bereits mit drei Bussen an einem Sonntag auf einen Gemeindeausflug gefahren. Ich erinnere mich gut, dass das viele als Neubeginn nach den Problemen der vergangenen Jahre angesehen haben.
LR: Die Christuskirchengemeinde steht heute für sehr lebendige und vielfältige Gemeindearbeit. Wie kam es dazu?
KN: Ich bin sehr dankbar, dass von Anfang an eine ganze Reihe anderer bereit waren, neue Wege auszuprobieren. Martina Radgen war als Gemeindepädagogin ja damals bereits in unserer Gemeinde, Tobias Utter ebenfalls als ehrenamtlicher Mitarbeiter im selben Alter wie ich, auch Pfarrer Hans Siebert hat die neuen Wege immer unterstützt und mitgetragen – was ja nicht selbstverständlich ist und wofür ich sehr dankbar war und bin.
LR: Was konkret ist denn dann entstanden?
KN: Zum Beispiel sehr schnell der Krabbelgottesdienst für Familien mit Vorschulkindern – natürlich auch von einem Team mit Ehrenamtlichen zusammen entwickelt und geleitet; und ein erster dauerhafter Vernetzungspunkt zwischen Kindergartenarbeit und Gemeinde. Oder Jugendfreizeiten in den Sommerferien, die die auch damals schon durchgeführten Leomühlen-Zeltfreizeiten für Kinder ergänzt und weitergeführt haben. Auch beim Sonntagsgottesdienst haben wir lebendige und gemeinschaftliche Elemente gestärkt: Die Beteiligung von Laien, die Form und Häufigkeit der Abendmahlsfeiern im Gottesdienst, die Einbeziehung neuer Lieder, die ich mit der Gitarre begleitet habe.
LR: Und was du ja bis heute immer wieder tust…
KN: Ja, aber heute haben wir ja vier Gottesdienstbands und noch zwei weitere Jugendbands dafür – die machen das bei weitem besser! Grundsätzlich gilt, dass wir Vieles ausprobiert haben und nicht immer alles auch geklappt hat. Gerade die die ersten Veränderungsversuche beim traditionellen Sonntagsgottesdienst waren wenig erfolgreich: „Sonntag 10 Uhr Kirche“ – das war offensichtlich für viele sehr festgelegt. Statt der „Revolution“ des Vormittagsgottesdienstes haben wir dann Mitte der 90er Jahre „Kirche anders“ entwickelt. Später kamen Familiengottesdienste, Jugendgottesdienste, „Gottesdienst mit allen Sinnen“, „Taizéandachten“ und weiteres dazu. Es ist der Versuch, für viele sehr unterschiedliche Menschen ein gottesdienstliches Angebot zu entwickeln – auch wenn man natürlich nie jedem alles bieten kann!
![]() Mit der „Quellenkönigin (Simone Appel) als Osterhase auf der Bühne“ vor dem Kurhaus am Ostersamstag 2010 beim Eiersammeln für Kinder |
![]() Beim „Weltkindertag“-Programm des Netzwerkes „Notinsel“ am Weltkindertag 20.9.2010 ebenfalls vor dem Kurhaus |
LR: Wo kamen die für diese Vielfalt wichtigen Freiwilligen her?
KN: Ich bin sehr dankbar, dass wir in der Gemeinde eine Atmosphäre prägen konnten, in der viel gelacht wird, in der Menschen sein dürfen, wie sie sind, in der Menschen erst einmal ankommen dürfen. Und dann haben wir mit Freude erlebt, dass Menschen auch heute bereit sind, sich mit ihren Gaben und Fähigkeiten einzubringen – vor allem, wenn man mit dem berühmten angebotenen kleinen Finger nicht gleich die ganze Hand nimmt! Auf diese Weise haben wir das Konzept einer „Beteiligungsgemeinde“ entwickelt und strukturell verankert.
LR: Was bedeutet das für dich als Pfarrer?
KN: Zunächst einmal machen die vielen Ehrenamtlichen Vieles möglich, was einer – wer auch immer – alleine nie erreichen könnte; weder zeitlich noch inhaltlich. Dann ist das Miteinander in den Teams natürlich auch viel fröhlicher und qualitativ wertvoller, als ein Herumwerkeln alleine. Vor allem aber sind wir als solche „Dienstgemeinschaft“ dem biblischen Bild einer christlichen Gemeinde natürlich viel ähnlicher als eine Pfarrer-zentrierte Gemeinde. Aber zugleich verändert sich damit natürlich der Dienst als Pfarrer: Ich bin heute viel weniger selbst der Macher als vielmehr der Coach und Begleiter von vielen Ehrenamtlichen. Und das gilt nicht nur für mich: Eine der besten Erfahrungen in diesen 20 Jahren ist, selbst in einem tollen Team von Hauptamtlichen arbeiten zu dürfen – zusammen mit Pfarrkollege und –kollegin, mit unserer Gemeindepädagogin und unserem Gemeindereferenten.
LR: Die Christuskirchengemeinde ist heute in Bad Vilbel ja sehr präsent. Was bedeutet es im 21. Jahrhundert, „Gemeinde mitten in der Stadt“ zu sein?
KN: Wir haben als christliche Gemeinde eine besondere Aufgabe in der Stadt und ein eigenes Profil. Bibel und Evangelium sind der Maßstab dafür. Weder die Bibel noch gelebtes Christsein passen aber stromlinienförmig in die Gesellschaft. Gottvertrauen geht ja immer über die irdischen Strukturen hinaus. Da kann es dann auch mal Konfliktfälle geben, in denen das Evangelium und das eigene Gewissen Orientierungspunkt sein müssen.
LR: Auch wenn dann ein ehemaliger Stadtrat aus der Kirche austritt?
KN: Das war seine Entscheidung. – Dieser Schritt hatte im Übrigen andere direkt zum Eintritt in unsere Gemeinde veranlasst, einen sogar zur Mitarbeit in der Gemeinde motiviert. Insgesamt ist es aber gar keine Frage, dass ich sehr froh und dankbar bin, dass wir heute eine so vielfältig vernetzte Gemeindearbeit haben. Unsere Gottesdienste und Veranstaltungen mitten in der Stadt sind dafür der beste Hinweis: der Autoscootergottesdienst zum Vilbeler Markt, der Erntedankgottesdienst in den Streuobstwiesen, der neue „Advent in der Burg“ oder das „Heavenscamp“ für Jugendliche im Burgpark. Und das Gemeindefest zusammen mit dem „Jazz unter den Platanen“ auf dem Kurhausvorplatz ist schon seit 1992 ein Erfolgsmodell in der Vernetzung von Gemeinde und kommunaler Kulturpflege.
LR: Während es sonst in vielen Kirchengemeinden Klagen über wenig Menschen und mangelnde Gelder gibt, hört sich das ganz anders an?
KN: Ja, das ist richtig. Ich schaue mit großer Dankbarkeit und Freude auf die vergangenen 20 Jahre. Natürlich ist auch in unserer Gemeinde nicht alles Gold, was vermeintlich glänzt, aber wenn ich sehe, wie engagiert sich zum Beispiel über 50 Jugendmitarbeiterinnen und Jugendmitarbeiter in den Angeboten für Kinder und Jugendliche einsetzen und ein ganz tolles ansteckendes Christsein leben, dann erfüllt mich das mit wirklich großer Freude! Und das gilt für so vieles: Ich denke an die Vater-Kind-Wochenenden, an unsere treue Besuchsdienstgruppe, an unglaublich engagierte Menschen im Hintergrund: Im Verwaltungsausschuss oder im Technik-Team – was allein hier für Werte gepflegt und für die Gemeinde genutzt werden…
LR: Wie ist das mit dem Geld?
KN: Natürlich gehen auch bei uns die Kirchensteuereinnamen zurück – das hat in erster Linie nichts mit Austritten zu tun, sondern mit einer Verlagerung unseres Steuersystems weg von den direkten Steuern hin zu einer indirekten Besteuerung. Als Folge davon sinken die Kircheneinnahmen. Dass wir hier aber inzwischen einen fantastischen Förderverein haben, der unglaublich viel möglich macht – bis hin zur Finanzierung ganzer Stellen! – das ist wirklich toll und zeigt, dass Menschen bereit sind, eine engagierte Arbeit auch finanziell zu unterstützen.
LR: Gibt es ein Bild, das für dich typisch ist für die heutige Christuskirchengemeinde?
KN: Eigentlich nicht eines, sondern ja eben gerade viele Bilder: Eine total engagierte zeitgemäße und profilierte Arbeit in unserer Kita „Arche Noah“, die (fast immer!) herzliche Atmosphäre im Miteinander unserer Gemeinde, die Offenheit für die Sorgen in der Welt – ob in Südafrika, in Indien oder in Guatemala. Aber vielleicht gibt es doch ein Bild: Unmittelbar vor unserem Abflug zur Partnergemeinde in Südafrika saßen wir als Delegation im „Ströbel-Haus“ bei der Andachtwoche der Jugendlichen – ganz eng und kuschelig, hörten auf die offenen persönlichen Worte der Jugendlichen, und sie beteten für uns und unseren Auftrag in Afrika. Das ist gelebtes, gemeinschaftliches, profiliertes und einladendes, offenes Christsein in unserer Zeit!
LR: Und wie geht es weiter?
KN: Mit Fröhlichkeit, Engagement und Gottvertrauen – und hoffentlich wie bisher zusammen mit vielen anderen!
![]() „Klaus Neumeier“ beim 100. Kirche anders Jubiläum im Dezember 2010 |