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Dem morgendlichen Hundespaziergänger oder Jogger bot sich am vergangenen Sonntag Morgen ein ungewohntes Bild: Auf dem Feldweg zwischen Bad Vilbel und Gronau reihten sich Radfahrer und Fußgänger, Kinderwagen und motorisierte Autos in Richtung Streuobstwiesen. Die Familien Stang und Malkmus hatten wie in den Jahren zuvor ihre Grundstücke für den Erntedankgottesdienst der Evangelischen Christuskirchengemeinde zur Verfügung gestellt.
Und auch wenn weit über 100 zusätzliche Stühle der Stadt Bad Vilbel gestellt wurden, reichten die vielen Bierzeltbänke nicht annähernd aus, um den kleinen und großen Besuchern Platz zu bieten. „Die Feier des Erntedankes in diesem Rahmen in der Nähe der Stadt und doch im Grünen zwischen den Äpfelbäumen hat sich als wirklicher Magnet entwickelt“ resümierte Pfarrer Klaus Neumeier, der vor Jahren die Idee zu dieser Form des Gottesdienstes im Freien hatte.


Wie im Vorjahr wurden die Gottesdienstbesucher von der Stadtkappelle Bad Vilbel empfangen – und wer eine Vorstellung vom schottischen Highland hat, der konnte bei der Eingangsmusik diese ganze andere Natur vor sich sehen.


Doch spätestens bei den Worten von Dr. Hartmut Spieß waren alle in der mitteleuropäischen Realität angekommen. Marlene Schröder-Greim stellte den Gast vom Dottenfelderhof vor, der seit Jahrzehnten in der Forschung vor allem im Bereich der Getreide sich einen Namen gemacht hat. Auf sehr verständliche Weise konnten die Anwesenden Körner schmecken und versuchen, sie den verschiedenen Getreidesorten zuzuordnen.
Die Kinder konnten am reich geschmückten Altar – wie gewohnt von Marlene Schröder-Greim und ihrem Mann gestaltet – die Körner den Ähren zuordnen und machten sich dann mit dem Team des Kindergottesdienstes auf den Weg zu einem eigenen Programm. Im Gespräch mit Pfarrer Dr. Klaus Neumeier erläuterte Hartmut Spieß die Bedeutung der Forschungsarbeit und Züchtung von Getreidesorten – heute vor allem, um die Vielfalt des Getreides zu erhalten und um einen freien Zugang zu den Samen für alle zu ermöglichen. „Der Profit mit eigenen Rechten auf Samenzüchtungen ist der eigentliche Sinn vieler gentechnisch veränderter Samen beim Getreide und bei anderen Lebensmitteln“ so der Fachmann vom biologisch-dynamisch arbeitenden Dottenfelderhof. In einer kurzen anschaulichen Predigt übertrug Neumeier anschließend ein Gleichnis Jesu: Ein Mann hatte sich große Scheunen gebaut und Reichtümer gehortet – doch er starb, bevor er seine angehäuften Schätze genießen konnte. „Die Schätze der Natur sind uns anvertraut zum Leben für alle, aber keine Spekulationsobjekte oder persönlichen Reichtumskammern, gleich ob in der Landwirtschaft oder im Geldgewerbe, in der Industrie oder im Handwerk“ so der Pfarrer.

Bankenzusammenbrüche erinnerten Gesellschaften an die Vorläufigkeit und Begrenztheit allen irdischen Planens und Arbeitens in gleicher Weise wie im persönlichen Bereich die Erfahrungen von Krankheit und Tod. Gemeinsamer Gesang zur Musik der Stadtkappelle sowie Gebete von Konfirmanden und Erwachsenen rundeten einen Gottesdienst ab, der vom Sonnenschein des Spätsommertages bestimmt wurde – „vielleicht in diesen Wochen eine letzte Gelegenheit für die Sonnenbrille“ meinte eine Besucherin und zog sich die Jacke aus, um die wärmenden Sonnenstrahlen genießen zu können. Grillwürste und Apfelkuchen und diverse Getränke aus Äpfeln luden zum Verweilen ein, bevor engagierte Gemeindemitglieder mit anpackten, damit die Ruhe der Streuobstwiesen am Nachmittag wieder Einzug halten konnte.
Lutz Rosenkranz
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