Fast 100 Gottesdienstbesuchende waren am vergangenen Sonntag 20. September live in der evangelischen Christuskirche in Bad Vilbel dabei, als zum ersten Mal ein zeitgleicher Gottesdienst gemeinsam mit Christinnen und Christen aus Nordindien gefeiert wurde. „Wie geht Nächstenliebe in der Corona-Zeit“ war das Motto des Gottesdienstes, den die beiden Teams aus der Christchurch Cathedral in Amritsar und aus der Christuskirchengemeinde in Bad Vilbel in den Wochen zuvor erarbeitet hatten.
Das Datum für das Simultan-Experiment war mit Bedacht gewählt worden: In dieser Zeit sollte eine indische Delegation eigentlich zu Gast in Bad Vilbel sein und Pfarrer Vijay Kumar sollte an diesem Sonntag in der Bad Vilbeler Kernstadtkirche die Predigt halten. Aufgrund der Corona-Situation war ein Besuch nicht möglich gewesen, der auf Basis einer gemeinsamen Zoom-Konferenz gefeierte Gottesdienst aber war mehr als nur ein notdürftiger Ersatz.
Den indischen Predigtpart teilten sich Bischof Dr. Pradeep Samantaroy und Gemeindepfarrer Vijay Kumar. Beide waren selbst schon mehrfach in Deutschland gewesen und maßgeblich an der Gründung der Gemeindepartnerschaft der beiden Christuskirchen vor vier Jahren beteiligt. Mit eindrücklichen Worten und eingespielten Bildern schilderten die indischen Pfarrer die bedrückende Situation unter dem Corona-Virus in Indien. Seit bald einem halben Jahr sind die Schulen geschlossen und weite Teile des öffentlichen Lebens stillgelegt.
Staatliche Hilfen gibt es für die in weiten Teilen notleidende Bevölkerung vor allem in den großen indischen Städten kaum, so dass vor allem in den ersten Wochen des Lockdown die christlichen Minderheitskirchen wichtige gesellschaftliche Aufgaben übernahmen und auch in Amritsar unter den die Städte durchziehenden Autobahnbrücken Notspeisungen durchführten. Auch gegenwärtig sind gottesdienstliche Versammlungen nicht möglich und der gemeinsame Gottesdienst wurde als digitaler Gottesdienst in der Gemeinde und in der ganzen Diözese Amritsar verbreitet.
Klaus Neumeier schilderte als Bad Vilbeler Pfarrer die Ereignisse des vergangenen halben Jahres in Bad Vilbel und würdigte die sehr spontane Kreativität mit digitalen Gottesdiensten, die sehr gut angenommen worden waren. Die Krise sei nicht als Anlass für einen kirchlichen Rückzug aus der Gesellschaft genommen worden, sondern erst recht für ein mittendrin-Sein. Davon erzählte sehr konkret und lebensnah Irene Hartmann als Krankenschwester des evangelischen Pflegeheims auf dem Bad Vilbeler Heilsberg. Sie schilderte die Nöte der Mitarbeitenden und vor allem auch der Bewohner, die teils mit Demenzerkrankung die fehlenden Besuche und Distanzgebote nicht verstehen konnten. Hier waren und sind die hauptberuflich Mitarbeitenden in besonderer Weise gefordert – und das ausdrücklich auch als Christinnen und Christen, um Nächstenliebe unter besonderen Krisenbedingungen zu üben. Klaus Neumeier machte deutlich, wie sehr seit den Anfängen vor rund 2000 Jahren christliche Fürsorge und glaubwürdig gelebte Nächstenliebe über christliche Gemeindegrenzen hinaus gewirkt und Gesellschaft geprägt haben.
Die Musik des Gottesdienstes kam vollständig aus Bad Vilbel. Geraldine Groenendijk steuerte an der Orgel Vor- und Nachspiel bei sowie das englisch vorgetragene Lied „Nun danket alle Gott“. Als Sängerinnen waren Anja Seybold und Nicole Duplois auch Teil der Gemeindeband UCB, die weitere moderne englische Lobpreislieder beisteuerte (E-Gitarre Axel Akki Raisig und Schlagzeug Gerald Wollmann). Gebete und Lesungen wurden in englisch und zeitgleich in deutsch von verschiedenen Gemeindemitgliedern aus Indien und Deutschland eingebracht. Es war bewegend, wie von beiden Partnern füreinander gebetet wurde und wie herzlich der Dank der indischen Seite für die intensive finanzielle Unterstützung gerade in den letzten Monaten formuliert wurde. Tatsächlich wurde seit Beginn der Pandemie für die Arbeit der Partnergemeinde gesammelt; beispielsweise während der Zeit der Digitalgottesdienste durch Aufrufe zu Spendenüberweisungen.
„Der Gottesdienst bedeutete ein enorm hohes Maß an Absprachen und auch technischer Organisation und ich bin sehr dankbar, dass alles so gut geklappt hat“ zeigte sich Pfarrer Klaus Neumeier im Anschluss sehr erleichtert und dankte ausdrücklich den technischen Machern rund um Gemeindepädagogin Martina Radgen. Reinhard Walter telefonierte unmittelbar nach dem Gottesdienst mit Bischof Samantaroy: „Er war ebenfalls sehr glücklich und dankbar und sprach direkt eine Wiederholung an; dies wird sicher auch bei uns in Bad Vilbel auf offene Ohren stoßen!“ Reinhard Walter ist Vorsitzender des Gemeinde-Partnerschaftsteams und – auf eigene Kosten – regelmäßig zu Besuch in Indien. Aber auch ganze Gruppen waren in den letzten Jahren regelmäßig in Nordindien zu Gast gewesen, zuletzt eine Jugendband und Delegation von Jugendmitarbeitenden im Frühjahr 2019. Verschoben wegen der Pandemie ist nun eine nächste Besuchsgruppe aus Indien für den Herbst 2021 vorgesehen.
Lutz Rosenkranz