„England ist immer eine Reise wert“
Kulturfahrt der Christuskirchengemeinde über Himmelfahrt in den Südosten Englands
Angefangen hatte alles eigentlich vor zwei Jahren: Selbst organisiert durch Gemeindepfarrer Klaus Neumeier machte sich eine Gruppe auf den Weg ins nordenglische York, um die dortige Kathedrale mit ihrem anglikanischen Leben zu besuchen: Himmelfahrtsgottesdienst, Evensong, mittelalterliche Kathedralbaukunst… Gleich nach der Fahrt begannen Überlegungen für eine Wiederholung zur Mutterkirche der anglikanischen Weltkirche nach Canterbury.
„England ist immer eine Reise wert“ waren sich 26 Mitreisende mit Christoph Diemerling einig und machten sich am Mittwoch vor Himmelfahrt mit drei kirchlichen Kleinbussen auf den Weg nach Calais. Vor der ersten Nacht dort gab es einen ausgiebigen Strandspaziergang und den Blick auf die trotz Tunnel unermüdlich kreuzenden Fähren. Am nächsten Morgen ging auf diesem Weg selbst nach Dover, wo mit der dortigen Burg ein erster Höhepunkt auf die Reisenden wartete. Ein römischer Leuchtturm und eine auf die Keltenzeit zurückgehende Kirche bilden den noch heute sichtbaren Ursprung der vor allem auf Heinrich II und das 12. Jahrhundert zurückgehenden Burganlage in den Kreidefelsen hoch über Meer und Hafen. Aber die Burg war bis in den 2. Weltkrieg hinein von Bedeutung und die meisten besichtigten die unterirdischen Befehlsanlagen, von wo die Evakuierung der britischen Truppen aus Dünkirchen im Jahre 1940 geleitet wurde. Für Claudia Leiendecker ein besonderes Highlight der Fahrt: „Dort unten kam eine bedrückende Stimmung auf, aber die Berichterstattung mal aus der Sicht der Alliierten zu erleben war sehr interessant.“
Weiter ging es zum Ziel der Reise ins nahe Canterbury. Ein Hotel direkt am Rand der Altstadt machte es leicht, die typisch englischen Gassen mit der Kathedrale im Zentrum zu erkunden. Erster Gottesdienst der als Pilgergruppe angemeldeten Bad Vilbeler war der Himmelfahrtsgottesdienst mit dem traditionellen altenglischen Chorgesang und der Feier des Abendmahls. Die anglikanische Kirche wurde im 16. Jahrhundert unter Heinrich VIII zwar in vielerlei formaler Hinsicht protestantisch, blieb vor allem im Gottesdienstablauf aber zugleich sehr katholisch – und very english mit viel äußerer und spiritueller Tradition. Für die Deutschen fremd und beeindruckend zugleich und auch in den beiden musikalischen Abendgottesdiensten „Evensong“ der Folgetage intensiv erlebbar. Wolfgang Neumann: „Höhepunkte waren die Evensongs mit der wunderbaren Chormusik und der raumgreifenden Liturgie.“ Tatsächlich sind die mittelalterlich klingenden Psalmgesänge der Chorjungen bzw. des Mädchenchores als Sopran zusammen mit den männlichen Berufssängern in den Stimmlagen Bass, Tenor und Altus gleichermaßen ungewöhnlich und faszinierend. Bei der Royal Wedding eine Woche nach der Kulturreise konnten viele auch in Deutschland ein wenig daran teilhaben – auch wenn das live-Erlebnis im Chorgestühl der großen gotischen Kathedrale natürlich eine ganz eigene spirituelle Kraft entwickelt. Entsprechend schwärmt auch Detlef Broda in Erinnerung an die Yorkfahrt zwei Jahre zuvor: „Auch in dieser Kathedrale hat mich wieder die spezielle Form des 'Evensong' mit den gesungenen Chorälen 'Magnificat' (Lobgesang der Maria) und 'Nunc dimittis' (Lobgesang des Simeon) sehr beeindruckt.“ Im bereits vorab vereinbarten Gespräch mit Canon (Dompfarrerin) Clare Edwards konnten viele der erlebbaren geistlichen Unterschiede angesprochen werden. Zugleich wurde in ihren Worten deutlich, wie sehr gerade Canterbury Nabel der anglikanischen Welt ist und Erzbischof Justin Welby Oberhaupt einer durch den Commonwealth in der ganzen Welt verbreiteten Kirche.
Mit Führungen durch Stadt und Kathedrale wurde das subjektive Erleben am Folgetag lebendig und sehr authentisch untermauert. Stefan Schörner hat es vor allem die Stadtführung angetan: Der „Charme des Städtchens mit seinen typischen britischen Häuschen und den tollen Geschäften im GB-Style“ – und das trotz und nach den Zerstörungen durch deutsche Luftangriffe im 2. Weltkrieg. Davon war die Kathedrale wie durch ein Wunder verschont geblieben. Sie besticht allein durch ihre unglaubliche Größe mit Langhaus und einem immer höher aufsteigenden Chor zum Osten hin, ergänzt durch eine Vielzahl von Querschiffen und Kapellen und insbesondere dem geschichtsträchtigen Ort der Ermordung des Erzbischofs Thomas Becket durch Anhänger des bereits erwähnten Heinrich II im Jahr 1170. Wolfgang Neumann: „Die Geschichte von dem Mord an Thomas Becket und dem nachfolgenden Heiligenkult und den Pilgerfahrten zu seinem Grab ist faszinierend und wurde sinnfällig bei der Besichtigung des Raumes in der Kathedrale, wo der Mord stattfand.“ Lange wurden so die Gebeine des heilig gesprochenen Märtyrers in der Kathedrale angebetet, bis König Heinrich VIII im Zuge der englischen Reformation allen Heiligenkult abschaffte. Seitdem sind die sterblichen Reste verschollen und in der Krypta erinnert ein modernes Kunstwerk an die frühere Stelle der Grablegung: „Der Thomas Becket aus alten Nägeln, so leicht gestaltet und sensibel im Raum schwebend, ein tolles Kunstwerk gerade durch die traumatischen Geschichten, die wir gehört haben“ erinnert sich Helga Schäfer-Geywitz.
Eine gute halbe Stunde entfernt liegt Leeds Castle, das am letzten vollen Reisetag besichtigt wurde. Immer wieder umgebaut diente es durch die Jahrhunderte vor allem den englischen Königinnen. Wie viele adlige englische Landsitze sind es neben dem Schloss oder Herrenhaus die ausgedehnten Gärten und Anlagen, die heute Besucher in ihren Bann ziehen. Angesichts der Fülle des Programms ist kaum zu glauben, dass noch Zeit blieb für persönliche Stadtbummel und – zumindest bei den drei gemeinsamen Gruppen-Abendessen – das Erleben der typisch englischen Pubs. Und „die gute und fröhliche Gemeinschaft“ (Astrid Edelmann) tat das Ihre zum Gelingen einer intensiven Christuskirchen-Kulturfahrt mitten hinein in die englische Geschichte.
Die nächste Kulturfahrt der Gemeinde geht im Herbst 2018 nach Jordanien und ist bereits ausgebucht. Fahrten in 2019 sind in Vorbereitung und werden im Herbst auf der Homepage „ckbv.de“ zu finden sein.
Lutz Rosenkranz