Heute ist Gründonnerstag. Wir denken zurück an den Abend, als Jesus zum letzten Mal mit seinen Freunden zusammensaß, trank und aß. Und wer mag, kann mithilfe dieses Impulses auch zu Hause ein feierliches Abendmahl gestalten, wie wir es ansonsten an diesem Tag in der Christuskirche tun (eine Kurz-Anleitung gibt es HIER).
Es war der Vorabend des großen Passah-Festes in Jerusalem. Doch Brot und Wein, die man dabei teilt, deutete er auf seinen eigenen Leib, sein eigenes Blut, das am nächsten Tag fließen würde. Tauchen Sie ein in den Abend, an dem wir sehen und schmecken können, wie freundlich der Herr ist…
Der Abend vor Pessach (das ist die hebräische, „eigentliche“ Aussprache von „Passah“), genannt „Seder-Abend“, hat im jüdischen Glauben eine zentrale Funktion. Man erinnert sich an das Heilshandeln Gottes in der Geschichte des Volkes Israel. Man stimmt ein in das Bekenntnis der Gegenwart Gottes und der bleibenden Verbundenheit: „Höre, Israel! Der Herr ist unser Gott, der Herr allein!“ Und man blickt voraus auf das, was kommt, spirituell und konkret. Oft wird am Tisch ein Platz freigelassen für den Propheten Elia. Seine Wiederkunft ist nämlich verheißen für die Erfüllung aller Tage, und diese Erwartung bekommt am Seder-Abend ein eigenes Gedeck. Zum Abschluss der Feier prosten sich Juden zu: „Nächstes Jahr in Jerusalem!“ Sie erwarten, dass Gottes Reich unmittelbar anbricht und damit auch die Wallfahrt zum Zionsberg, wo man sich dann schon bald wiedersehen wird.
Ganz so feierlich war das „letzte Abendmahl“ sicherlich nicht. Zu unsicher war die Situation, und damit unserer Gegenwart auf ganz ähnlich. Zu unterschiedlich waren die Charaktere, die zusammenkamen, so wie wir in diesen Tagen unterschiedlich reagieren und anders mit der Krise umgehen. Voller Vertrauen und Hoffnung; von stiller Liebe und Dankbarkeit geprägt; mit Tatendrang durchzogen und doch dazu verdonnert, die Füße stillzuhalten; ängstlich und verzweifelt was da kommt; voller Sehnsucht nach Orientierung in einer ungewissen Zeit. Wie gut es uns da tut, wie gut es den Menschen damals und zu allen Zeiten getan hat, wenn es in der Krise einen festen Bezugspunkt gibt, ein Ritual, das sie gemeinsam vollziehen konnten, das ihnen Sicherheit gab.
Jesus und seine Jünger – und wahrscheinlich auch Jüngerinnen, selbst wenn sie im biblischen Bericht an der Stelle nicht namentlich genannt werden – haben den Vorabend des Passah-Festes als Juden genau auf diese Weise miteinander verbracht. Zugleich hat Jesus das Ritual am Seder-Abend transparent gemacht: Das Heilshandeln Gottes, von dem beim Fest die Rede ist, vollzieht sich durch ihn und an ihm! Wenn wir als Christinnen und Christen an Gründonnerstag eintauchen in diese Welt, dann nehmen wir Anteil an dem jüdischen Ritual und bekennen, dass es für uns zugleich transparent ist für das Heilshandeln Gottes in Jesus, das sich an Karfreitag und Ostern vollzieht. Und wir sind unseren „großen Geschwistern im Glauben“, den Juden, dankbar Anteil nehmen zu dürfen.
Jesu Jünger haben den Saal, in dem dieses letzte Abendmahl gefeiert wurde, wahrscheinlich schon vorbereitet. An dieser Stelle wurde später eine Kirche errichtet, vor einigen Jahren war ich dort und habe sie besichtigt. Es ist ein karger Raum. Kein Tisch, kein Stuhl. Kein Wunder: Dergleichen gehörte damals nicht zum Inventar der Räumlichkeiten. Man saß und schlief auf dem Boden. In den Evangelien heißt es, der Raum sei „schön ausgelegt“ (Mk 14,15), wobei unklar bleibt, ob mit Kissen oder Dielen. Als sie zum Mahl zusammenkamen, standen bereits die symbolischen Speisen in der Mitte: Das ungesäuerte Brot, Salzwasser, bittere Erdfrüchte und Fruchtmus.
Wenn Sie, wenn ihr für heute Abend so ein Mahl vorbereiten wollt, dann bietet sich dafür an: Matzen, Apfelmus, Radieschen oder Sellerie. Neben der Schüssel mit Salzwasser und den Gedecken gehört außerdem ein Becher mit Wein oder Traubensaft für jeden dazu. Und wahrscheinlich auch Tisch und Stühle: Heutzutage setzt man sich „ganz normal“ miteinander an den Esstisch, auch wenn das „Original“ ein Gelage im wörtlichen Sinn gewesen ist.
Die gemeinsame Feier kann beginnen mit einer liturgischen Eröffnung. Schön ist dazu auch ein Lied: „Lobet und preist, ihr Völker, den Herrn!“ Darauf folgt ein Dankgebet mit Segensspruch: „Gott, wir preisen dich für deine Güte. Du schenkst uns…“ Reihum kann jeder äußern, wofür er oder sie dankbar ist, auch für die ganz großen Dinge: Jahreszeiten der Freude, Tage der Ruhe, Zeiten der Fröhlichkeit. Psalm 103 und Psalm 104 („Lobe den Herrn, meine Seele!“) bieten sich ebenfalls an, wenn man kein eigenes Gebet formulieren möchte. Jetzt wird vom Wein bzw. vom Saft getrunken.
Die symbolischen Speisen werden nacheinander gegessen, währenddessen denkt man an wichtige Stationen aus der Geschichte des Volkes Israel. Sie sind zugleich Stationen unserer persönlichen Geschichte: Jeder kann sich in der Deutung der Speisen wiederfinden.
- Das Radieschen oder der Sellerie wird in Salzwasser getaucht – wir erinnern uns an bittere Zeiten und an Tränen, wie die Israeliten sie in der Knechtschaft in Ägypten vergossen haben. Und wir fragen uns: Was ist in meinem Leben bitter, wo sind salzige Tränen geflossen?
- Jeder isst einen Löffel Apfelmus. Er erinnert an die Ziegel aus Lehm, die die Israeliten für den Pharao brennen mussten. Aber er schmeckt auch süß wie die Freiheit, die Gott ihnen schenkt. Wir fragen uns: Wo habe ich Gottes Handeln, wo habe ich Gutes und Freiheit in meinem Leben erfahren?
- Ein Stück Matzen / vom ungesäuerten Brot wird gegessen – wir erinnern uns daran, dass die Israeliten in großer Not aufbrechen mussten, nur das Allernötigste mitnehmen konnten als sie aus Ägypten befreit wurden; Zeit, in Ruhe frisches und luftiges Brot zu backen, hatten sie nicht Und wir fragen uns: Was ist für uns das Allernötigste? Und worauf könnte ich auch gut verzichten?
Für Christinnen und Christen werden Brot und Wein zu Leib und Blut Jesu Christi. Er hat mit denen, die ihm anvertraut waren, das Sedermahl gefeiert und dazu gesagt: Einen bitteren Weg werde ich gehen und die, die mir nachfolgen. Aber der Weg führt zur Freiheit, zum Leben, das stärker ist als der Tod. Das ist das Wichtigste von allem. Er nahm das Brot, brach es, gab es seinen Jüngern und sprach: „Das Brot IST mein Leib, der für euch gegeben wird.“ Und er nahm den Kelch Wein nach dem Mahl und sprach: „Das IST mein Blut, das vergossen wird für euch und für viele zur Vergebung der Sünde. Ich gebe es für euch, damit wir für immer verbunden bleiben, damit die Kraft und die Liebe Gottes, die sich an mir und durch mich zeigen, für immer in euch ist.“ Durch Brot und Wein sind wir miteinander und mit ihm verbunden, auch über den Tod hinaus.
Nun wird, beim jüdischen Sedermahl genauso wie beim christlichen Abendmahl, gegessen und getrunken und das Leben gefeiert. Nach dem Essen folgt ein Gebet. Dabei wird der Blick in die Zukunft gerichtet: „Gott, auch heute ist unser Leben zerbrechlich und bedroht. Aber Du stehst an unserer Seite, so wie Du damals die Israeliten geführt und gerettet hast. Am Ende schenkt du allen Menschen Frieden und Gerechtigkeit, Freiheit und Liebe. Dafür danken wir Dir. Dafür preisen wir Dich zusammen mit unseren jüdischen Geschwistern.“
An Gründonnerstag war Jesus beim Passahmahl noch einmal zusammen mit seinen Jüngern. Bei dem berühmten Bild von Leonardo da Vinci ahnt man: Sie alle haben ganz unterschiedliche Haltungen zu dem gehabt, was da geschieht und worauf sie zugegangen sind, mitunter haben sie nicht verstanden, was vor sich geht. Deshalb dürfen auch wir mit unseren unterschiedlichsten Haltungen uns angenommen und eingefügt wissen in das, was da geschieht – auch wenn wir nicht vollkommen verstehen wie das geht.
Wer bist Du, wer (und vor allem: wie) sind Sie in dieser Szene? Voller Vertrauen und Hoffnung; von stiller Liebe und Dankbarkeit geprägt; mit Tatendrang durchzogen und doch dazu verdonnert, die Füße stillzuhalten; ängstlich und verzweifelt was da kommt; voller Sehnsucht nach Orientierung in einer ungewissen Zeit? Mit allen unterschiedlichen Haltungen sind wir eingeladen, selbst teilzuhaben an dem Mahl, zu dem Jesus einlädt. Heute an Gründonnerstag wird dabei die Verbundenheit überdeutlich: Miteinander, mit unseren jüdischen „großen Geschwistern“, mit Jesus Christus, mit Gott. Eine Verbindung, die selbst Zeiten wie diese übersteht.
Genießen wir dieses Wissen und das Vertrauen: Gott hat die Macht seiner Liebe gezeigt, umgibt uns damit und führt uns mit ihr dem Leben entgegen. „Schmecket und sehet wie freundlich der Herr ist!“ Am Ende des Mahls können wir noch ein Vaterunser beten und wissen uns auch dadurch verbunden mit den ersten Jüngern, mit der weltweiten Christenheit, mit unseren Brüdern und Schwestern im Hier und Jetzt. Übrigens: Zum Abschluss prostet man sich beim Passahmahl noch einmal mit Wein oder Traubensaft zu: „Nächstes Jahr in Jerusalem“ – in der Erwartung, dass Gottes Reich kommt und doch schon mitten unter uns ist.
In tiefer Verbundenheit
Ihr / Euer Pfr. Ingo Schütz
P.S.: Hier nochmal der Link zur "Kurzanleitung"...
P.P.S.: Wer beim Lesen des Lukas-Evangeliums mitmacht: Am heutigen Donnerstag ist Kapitel 21 an der Reihe.
Geistlich leben - jetzt erst recht: Das ist unsere Devise in der Christuskirchengemeinde Bad Vilbel. Während der Corona-Krise wollen wir nicht einfach nur alles absagen, sondern neue Wege eröffnen, wie wir unseren Glauben gemeinsam leben können, trotz des gebotenen Sicherheitsabstands. Dazu gehört auch der tägliche Impuls auf der Homepage. Die Impulse der vergangenen Tage finden Sie gesammelt unter https://www.ckbv.de/index.php/download/taeglicher-impuls. Weitere Infos entnehmen Sie bitte unserer Pressemitteilung: https://ckbv.de/index.php/veranstaltungshinweise/1785-aktuelle-mitteilung.