LR: Wo kamen die für diese Vielfalt wichtigen Freiwilligen her?
KN: Ich bin sehr dankbar, dass wir in der Gemeinde eine Atmosphäre prägen konnten, in der viel gelacht wird, in der Menschen sein dürfen, wie sie sind, in der Menschen erst einmal ankommen dürfen. Und dann haben wir mit Freude erlebt, dass Menschen auch heute bereit sind, sich mit ihren Gaben und Fähigkeiten einzubringen – vor allem, wenn man mit dem berühmten angebotenen kleinen Finger nicht gleich die ganze Hand nimmt! Auf diese Weise haben wir das Konzept einer „Beteiligungsgemeinde“ entwickelt und strukturell verankert.
LR: Was bedeutet das für dich als Pfarrer?
KN: Zunächst einmal machen die vielen Ehrenamtlichen Vieles möglich, was einer – wer auch immer – alleine nie erreichen könnte; weder zeitlich noch inhaltlich. Dann ist das Miteinander in den Teams natürlich auch viel fröhlicher und qualitativ wertvoller, als ein Herumwerkeln alleine. Vor allem aber sind wir als solche „Dienstgemeinschaft“ dem biblischen Bild einer christlichen Gemeinde natürlich viel ähnlicher als eine Pfarrer-zentrierte Gemeinde. Aber zugleich verändert sich damit natürlich der Dienst als Pfarrer: Ich bin heute viel weniger selbst der Macher als vielmehr der Coach und Begleiter von vielen Ehrenamtlichen. Und das gilt nicht nur für mich: Eine der besten Erfahrungen in diesen 20 Jahren ist, selbst in einem tollen Team von Hauptamtlichen arbeiten zu dürfen – zusammen mit Pfarrkollege und –kollegin, mit unserer Gemeindepädagogin und unserem Gemeindereferenten.
LR: Die Christuskirchengemeinde ist heute in Bad Vilbel ja sehr präsent. Was bedeutet es im 21. Jahrhundert, „Gemeinde mitten in der Stadt“ zu sein?
KN: Wir haben als christliche Gemeinde eine besondere Aufgabe in der Stadt und ein eigenes Profil. Bibel und Evangelium sind der Maßstab dafür. Weder die Bibel noch gelebtes Christsein passen aber stromlinienförmig in die Gesellschaft. Gottvertrauen geht ja immer über die irdischen Strukturen hinaus. Da kann es dann auch mal Konfliktfälle geben, in denen das Evangelium und das eigene Gewissen Orientierungspunkt sein müssen.
LR: Auch wenn dann ein ehemaliger Stadtrat aus der Kirche austritt?
KN: Das war seine Entscheidung. – Dieser Schritt hatte im Übrigen andere direkt zum Eintritt in unsere Gemeinde veranlasst, einen sogar zur Mitarbeit in der Gemeinde motiviert. Insgesamt ist es aber gar keine Frage, dass ich sehr froh und dankbar bin, dass wir heute eine so vielfältig vernetzte Gemeindearbeit haben. Unsere Gottesdienste und Veranstaltungen mitten in der Stadt sind dafür der beste Hinweis: der Autoscootergottesdienst zum Vilbeler Markt, der Erntedankgottesdienst in den Streuobstwiesen, der neue „Advent in der Burg“ oder das „Heavenscamp“ für Jugendliche im Burgpark. Und das Gemeindefest zusammen mit dem „Jazz unter den Platanen“ auf dem Kurhausvorplatz ist schon seit 1992 ein Erfolgsmodell in der Vernetzung von Gemeinde und kommunaler Kulturpflege.
LR: Während es sonst in vielen Kirchengemeinden Klagen über wenig Menschen und mangelnde Gelder gibt, hört sich das ganz anders an?
KN: Ja, das ist richtig. Ich schaue mit großer Dankbarkeit und Freude auf die vergangenen 20 Jahre. Natürlich ist auch in unserer Gemeinde nicht alles Gold, was vermeintlich glänzt, aber wenn ich sehe, wie engagiert sich zum Beispiel über 50 Jugendmitarbeiterinnen und Jugendmitarbeiter in den Angeboten für Kinder und Jugendliche einsetzen und ein ganz tolles ansteckendes Christsein leben, dann erfüllt mich das mit wirklich großer Freude! Und das gilt für so vieles: Ich denke an die Vater-Kind-Wochenenden, an unsere treue Besuchsdienstgruppe, an unglaublich engagierte Menschen im Hintergrund: Im Verwaltungsausschuss oder im Technik-Team – was allein hier für Werte gepflegt und für die Gemeinde genutzt werden…
LR: Wie ist das mit dem Geld?
KN: Natürlich gehen auch bei uns die Kirchensteuereinnamen zurück – das hat in erster Linie nichts mit Austritten zu tun, sondern mit einer Verlagerung unseres Steuersystems weg von den direkten Steuern hin zu einer indirekten Besteuerung. Als Folge davon sinken die Kircheneinnahmen. Dass wir hier aber inzwischen einen fantastischen Förderverein haben, der unglaublich viel möglich macht – bis hin zur Finanzierung ganzer Stellen! – das ist wirklich toll und zeigt, dass Menschen bereit sind, eine engagierte Arbeit auch finanziell zu unterstützen.
LR: Gibt es ein Bild, das für dich typisch ist für die heutige Christuskirchengemeinde?
KN: Eigentlich nicht eines, sondern ja eben gerade viele Bilder: Eine total engagierte zeitgemäße und profilierte Arbeit in unserer Kita „Arche Noah“, die (fast immer!) herzliche Atmosphäre im Miteinander unserer Gemeinde, die Offenheit für die Sorgen in der Welt – ob in Südafrika, in Indien oder in Guatemala. Aber vielleicht gibt es doch ein Bild: Unmittelbar vor unserem Abflug zur Partnergemeinde in Südafrika saßen wir als Delegation im „Ströbel-Haus“ bei der Andachtwoche der Jugendlichen – ganz eng und kuschelig, hörten auf die offenen persönlichen Worte der Jugendlichen, und sie beteten für uns und unseren Auftrag in Afrika. Das ist gelebtes, gemeinschaftliches, profiliertes und einladendes, offenes Christsein in unserer Zeit!
LR: Und wie geht es weiter?
KN: Mit Fröhlichkeit, Engagement und Gottvertrauen – und hoffentlich wie bisher zusammen mit vielen anderen!
![]() „Klaus Neumeier“ beim 100. Kirche anders Jubiläum im Dezember 2010 |