Rückblick: Der moderne Gottesdienst der Bad Vilbeler Christuskirchengemeinde feierte Jubiläum
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Im Weihnachtsstern auf dem Bistrotisch steckt eine goldene 100, einer von diesen Stickern, wie man sie sonst zur Geburtstagsfeier im Altenheim auf der Torte findet. Doch es ist keine ältere Dame, die hier den Hundertsten feiert, sondern der Gottesdienst „kirche anders“ der evangelischen Christuskirchengemeinde in Bad Vilbel. 1996 wagte man zum ersten Mal das Experiment, am Sonntagnachmittag zu einem Gottesdienst mit Theater, moderner Musik und zuweilen provozierenden Themen einzuladen. Damals war das etwas ganz Neues – doch auch am 5. Dezember, im hundertsten „kirche anders“ zeigte die Jubilarin, dass sie kein bisschen alt geworden ist. „Gott sei Dank“ lautete das Thema der Jubiläumsveranstaltung, bei der auch Ehrengäste nicht fehlten: Kirchenpräsident Volker Jung, Pfarrerin Christine Noschka, Dezernentin für kirchliche Praxis in der hessen-nassauischen Kirche, Bad Vilbels Bürgermeister Dr. Thomas Stöhr und Karl-Heinz Zimmer, der Geschäftsführer von „willow creek“ Deutschland, einer aus Amerika kommenden Verkündigungsbewegung, die „kirche anders“ maßgeblich inspiriert hat. Dank für 15 Jahre Ideen, Fantasie und hohes ehrenamtliches Engagement war der rote Faden im Rückblick, den Ilona Krauß und Pfarrer Klaus Neumeier moderierten.
Gotteslob mit der „praise agency“
Der Einstiegs- Sketch, traditionell ein Herzstück des Gottesdienstes,
zeigte das kirche-anders-Team gewohnt witzig und gut gelaunt:
Präsentiert wurde ein schreikomischer Mix von Anbetungsformen, den die
Vertreterin einer “praise agency“ zwei Kirchenvorstehern zur
Modernisierung ihres Gemeindelebens verkaufen will. Aus ihrem
Aktenköfferchen holt die geschäftstüchtige Dame nach und nach ihre
Angebote: den Beter auf den Knien – zu fromm, die Gospelsolistin – zu
pathetisch, den Rocksänger – zu pubertär, zwei klassische Chordamen - zu
verzopft und die Tierfiguren für den Familiengottesdienst – zu platt
und vereinfachend. Und was dem einen Kirchenvorsteher gefällt, das
findet der andere grausig. Der Streit tobt, bis eine Stimme von ganz
oben eingreift: „Es ist mir völlig wurscht, wie ihr mich lobt –
Hauptsache, es kommt von Herzen.“
So ähnlich mag es den Begründern von „kirche anders“ gegangen sein, als
sie sich auf die Suche machten nach einem Gottesdienst, der viele
anspricht und vieles. Immer wieder Neues wagen, kritisch prüfen und
dabei authentisch bleiben gehörte deshalb von Anbeginn zum Konzept von
„kirche anders“.
Was dabei herausgekommen ist, konnten die Besucher beim Jubiläum in
Bestform erleben, dazu gab es fetzige Musik von „Die anders Band“ und
vom „Gospeltrain“ unter der Leitung von Gemeindereferent Thorsten Mebus.
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„Wofür ich Gott dankbar bin“
„Wofür ich Gott dankbar bin“ stand im Zentrum der teils sehr
persönlichen Statements, die anstelle einer Predigt folgten. Für
Pfarrerin Ulrike Mey waren es die Momente, wenn eine Situation ganz und
gar stimmig ist, zum Beispiel ein Gottesdienst, in dem alles „passt“.
Karl-Heinz Zimmer erzählte bewegend von der tiefen Dankbarkeit zum 18.
Geburtstag seiner Tochter –„ein kerngesundes Kind“, obwohl man den
Eltern in der Schwangerschaft wegen einer falsch diagnostizierten
Behinderung zu einem Abbruch geraten hatte. Doch es muss nicht immer so
dramatisch sein: Dankbar kann man auch sein, wenn einem im Schneetreiben
unterwegs auf Thüringens Straßen einfällt, dass das Wasser, das da in
feinen Flocken wirbelt, ja auch schon in der Wolke zu einem Block hätte
zusammenfrieren können und dann herunterfallen. Ein schönes Bild, mit
dem Zimmer seine Dankbarkeit über die von Gott so gut eingerichtete Welt
ausdrückte. Nachdenkliches brachte Kirchenpräsident Volker Jung ein: Er
sei vor allem dankbar, dass er überhaupt danken könne – für Menschen,
die Not leiden, sei das oft schwer. Und möglicherweise habe es auch mit
mangelnder Dankbarkeit zu tun, wenn Menschen in Konflikten, wie es sie
auch im Arbeitsalltag einer Landeskirche gibt, gleich zu
Untergangsszenarien neigten.
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Gerade die Evangelische Kirche in Hessen
und Nassau sei „reich beschenkt“, nicht zuletzt durch das Engagements
ihrer Mitglieder.
Tobias Utter, der 1995 die Idee zu „kirche anders“ vom Hamburger
Kirchentag mitgebracht hatte und seither immer wieder in Theater und
Predigt beteiligt war, schloss mit der Frage, ob Gott überhaupt unsere
Dankbarkeit brauche. Ein klares Ja war die Antwort – denn Gott sei kein
nüchterner Weltenlenker, sondern die Liebe selbst – „vielleicht die
größte Emotion überhaupt.“
Wie immer endete der Gottesdienst mit persönlichen Fürbitten und Fragen
aus dem Publikum. Eine lautete, warum das erfolgreiche Konzept von
„kirche anders“ nicht häufiger kopiert worden sei. Utter entgegnete,
dass „kirche anders“ speziell auf die Christuskirchengemeinde
zugeschnitten sei. Jede Gemeinde müsse selbst entdecken, was für sie
passe. Doch forderte er auf, „hemmungslos zu klauen“, was helfe, den
eigenen Glauben zu entdecken.